Nationalpark Wattenmeer
Ringelganstage im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Die Wettervorhersagen für die letzte Aprilwoche 2016 sind nicht so rosig: Temperaturen zwischen 0°C und 10 °C, Regenschauer, Hagel. In diesem Moment, in dem ich den Bericht zu schreiben beginne, toben draußen 30 °C plus. Da ist mir jeder erinnerte Hagelschauer eine Wonne.
Samstag: Am vorletzten Samstag im April sitzen Michael, Birgit, Volker und ich im IC Richtung Husum. Bei Sonne und Wind begrüßen uns Rita und Klaus freudig am Husumer Bahnhof. Durch unsere Zugverspätung hat dieses Date gerade noch geklappt. Und schon bald sind wir unterwegs durch die Husumer Innenstadt, am Markt entlang, zum Hafen, um im großen Bogen am Dockkoog entlang über Schobüll in das NSG Beltringharder Koog. Nach einem ersten gemeinsamen Abendschmaus gehts in die Natur hinaus, in ein benachbartes Naturschutzgebiet mit Vogelbeobachtungs-stand, den wir in den nächsten Tagen des öfteren besuchen. In unmittelbarer Nähe ertönt eine Rohrdommel; ihr genauer Aufenthaltsort lässt sich allerdings nicht metergenau bestimmen. Die meisten von uns haben schon wesentlich detailliertere Kenntnisse über die 100 Vogelarten, die sich hier in diesem lebendigen Naturpark aufhalten. Zugegebenermaßen kann ich gerade eine Gans von einer Ente unterscheiden, genieße aber auch selbst diese herrliche Atmosphäre, in der die Natur das Sagen hat. Immerhin sehe ich heute abend einige schnell hüpfende Strandläufer und einige Rotschenkel, die ich am nächsten Tag auch wiedererkenne.
Sonntag: Unser erster ganztägiger Ausflug nimmt seinen Anlauf. Auf dem Weg zum 6 km entfernten Lüttmoorsiel gibt es schon einige Rotschenkel und Nonnengänse zu beobachten. Hin und wieder erhebt sich ein größerer Schwarm Nonnengänse aus den bereits festen Böden des Hattstedter Marsch, im Umkreis von 3 km auf der Innenseite des Siels. Auch ein Vogelbeobachtungsstand befindet sich in diesem Gebiet. Einige Beobachter kommen mit größtmöglichen Kameras, die sich nicht mit Fahrrädern transportieren lassen und stellen ihre Autos so nahe wie möglich am Eingang des Standes ab, so dass wir Radfahrer „drum herumfahren“ dürfen. Diese Erfahrung dürfen wir auch des öfteren machen. Einige Vogeleier wurden von den Möwen bereits aufgepickt. Also Möwen sind eigentlich Raubvögel, wie ich es in diesen Tagen erfahre. Auf dieser Tour entdecken wir einen Hasen, den wir unter uns den „Salzwasserhasen“ getauft haben. Ab dem Lüttmoorsiel zielen wir in Richtung Hamburger Hallig. Vor uns wird der Himmel pechschwarz, ein Gewitter zieht heran, während wir durch dieses Schwarz hindurchfahren.
Michael ist als erster am NABU-Stand auf halbem Weg zur Hamburger Hallig. Ich habe mich auch einigermassen beeilt und werde nicht so fürchterlich nass wie unsere Freunde ein paar Meter hinter uns. Bei Anblick der 6 Fahrräder reagiert die NABU-Angestellte mit Angst um ihren Zaun, gewährt uns aber Einlass ins Haus, von dem nicht Alle Gebrauch machen; inzwischen schneit es auch noch. Der Himmel wird grau in grau und langsam etwas heller. Eine halbe Stunde später können wir in Richtung Hallig-Ende weiterfahren und uns dort mit warmen Kakao und mehr verwöhnen lassen. Nur die Ringelgänse lassen auf sich warten. Wir sehen zur Rechten eine Reihe Nonnengänse, aber leider nicht das, worauf wir gehofft hatten: tausende Ringelgänse, die den Himmel verdunkeln, wenn sie sich alle gleichzeitig vom Boden erheben. Das muss ein wahres Erlebnis sein, das Michael schon mehrfach hier erleben durfte. Es ist denen wohl noch zu kalt in dieser Woche, was mich nicht wirklich wundert. Wir staunen über die Fähigkeiten der Gänse, tausende Kilometer, auch im Schlaf, exakt nebeneinander zu fliegen, ohne den Abstand zueinander zu verlieren. Sie müssen irgendein ausgeklügeltes Radarsystem beherrschen. Gegen Nachmittag kehren wir über den Deich wieder zum Hotel zurück, in der Hoffnung, ein paar Saunagänge genießen zu dürfen. Heute bleiben wir des weiteren von Unwettern verschont und lassen langsam und trocken den Tag ausklingen.
Montag: Heute wollen wir auf einer 60-km-Tour das Hattstedter Hinterland ein wenig erkunden. Dazu hüllen wir uns in unsere Regenpellerinen, unsere heutigen ständigen Begleiter bis zum frühen Nachmittag. Wir sind gerade eine Stunde an Bächen, über Weiden, auf nassen Wiesen und spitzsteinigen Seitenwegen unterwegs, als Birgit verkündet, dass ihr Hinterrad platt ist. Volker ist superschnell mit der nötigen Fahrrad-Verarztung bei hand, und im Nu ist der Schlauch aus dem Reifen gelöst. Wir anderen helfen durch Schweigen oder fachlichem Kommentieren, Pusten, Anreichungen, Fotografieren des Reifenkillers, mit, die Sache schnell wieder in den Griff zu bekommen – und Birgit hat für den heutigen Tag Ruhe im Hinterreifen. Über Wald und Feld gelangen wir nach Struckum zu einer ganz besonderen Windmühle. Und zwar handelt es sich um die ehemalige Graupenmühle „Fortuna“, die 1972 vom Sänger und Liedermacher Hannes Wader übernommen und zur Wohnmühle umgebaut wurde. Der benachbarte Bau diente unter anderem als Tonstudio. Vor der Windmühle trällern wir mal kurz unseren Naturfreunde-Hitlistensieger Nr. 1 von Hannes Wader: „Gut wieder hier zu sein“ Es ist durchaus angemessen.
Wir besuchen noch einige benachbarte Orte, halten hier und da schon mal Ausschau nach günstigen Einkehrmöglichkeiten, aber für die nächsen Stunden ergibt sich nur die Packtaschenverpflegung. Schließlich durchqueren wir ein hübsches Heidegebiet, und gelangen gegen Nachmittag wieder zur Arlau auf dem Wege in die Örtlichkeit Hattstedt, wo wir uns bestens versorgen und verpflegen können. Wir sind natürlich auch über Stock und Stein gefahren, und vorbei an einigen Schlehenhecken. Schließlich finden wir ein richtig gutes Restaurant in Hattstedt und verweilen dort bis ca. 20 Uhr. Als wir unsere Fahrräder wieder besteigen, mit extra schwerem Gepäck aus dem Supermarkt, fällt mir auf, dass mein Vorderrad ungewöhnlich schwer vorwärts kommt: ich mache mich bemerkbar: PLATTEN ! Oh nee, bloß nicht. Ein größeres Loch ist nicht zu sehen und nicht zu spüren. Also pumpt Volker mir mein Rad auf, Birgit übernimmt die schwere Gepäcktasche, und man rät mir, so schnell wie möglich die 6-8 km zur Arlau Schleuse durchzubrettern. Gemacht, getan. Beinahe wäre auch alles gut gegangen, wenn ich nicht fünf Minuten später einen Hinterradplatten festgestellt hätte. Hier saß ein fetter unkaputtbarer Schlehendorn seitlich im „Unplattbaren Reifen“, direkt über der Felgenbremse, und zwar so tief, dass vier Hände nötig waren, den aus dem Gummi wieder herauszuziehen. Volker wieder, behend, unermüdlich, wie am Vormittag, flickt den noch jungfräulichen Schlauch, stopft alles wieder an die vorgesehenen Stellen, ohne das Rad abbauen zu müssen. Und in Begleitung einer im Plattenflicken ausgebildeten Escorte steuere ich die Arlau Schleuse an. Michael war die Prozedur zu lange – er war uns schon durchgefroren vorausgeeilt. Mein Dank, lieber Volker, und allen Helfern, wird Euch ewig nachlaufen. Aber ich habe viel gelernt und bin nun in der Lage, selbst Hand anzulegen, wenn es auch ein paar Viertelstunden länger dauert.
Dienstag: Die Luft in meinem Hinterrad hat gehalten, das Vorderrad hat von 5 Atü 2 wieder verloren: demnach ist da doch eine undichte Stelle. Zunächst mal fahren wir alle zusammen zum Lüttmoorsiel, weil hier und heute eine Wattwanderung stattfindet, an der Michael, Rita und Klaus gerne teilnehmen möchten. Das Wetter: eiskalt, nasskalt. Fotos kann ich niemandem zumuten, sonst wirkt mein Blog zu abschreckend. Der junge Mann, der die Wattwanderung führt, leistet hier im Naturschutzgebiet Beltringharder Koog sein freiwilliges Jahr, er macht seine Sache auch sehr gut. Auf jeden Fall ist er für seine Aufgabe wettertauglich. Meine Wenigkeit und auch Birgit und Volker haben angesichts der Temperaturen erst gar keine Gummistiefel eingepackt. Nach einer 20minütigen Einführung in die Besonderheiten dieses speziellen Naturschutzgebietes kräuseln sich bei mir schon die Zehennägel vor Kälte. Es setzt wieder starker Regen ein, als die beschauliche Gruppe ins Watt schreitet. Zunächst versuchen Birgit, Volker und ich die Richtung Nordstrand einzu-schlagen, als uns der Regen zu bunt wird und wir die Richtung um 180° drehen. Am Wegesrand liegt eine Schafsmutter mit ihrem gerade neugeborenen Schäfchen und versucht dieses um jeden Preis vor der Kälte zu schützen.
Um diese Zeit sehen wir auf den Deichen viele sehr junge Schafe. Wir kommen wieder am Lüttmoorsiel an, steigen mal eben auf den Deich, um uns die Gruppe von Wattwanderern anzusehen: ein erbarmungswürdiger Anblick bietet sich unserem Auge: dort mitten unter den Wattwürmern steht die Watt-Gruppe im strömenden Regen und hört den weiteren Ausführungen des Wattkundigen zu, die Kapuzen hochgezogen, Rita mit ihrer knallroten Regenjacke leuchtet allen voraus, ansonsten sieht man nur griesgrau in grau, und braun in braun. Schlimm ! Ein paar wenige Gänse waren in der Nähe auszumachen. Wir beeilen uns, ins Hotel zu kommen. Dort angelangt, baut Volker mein Vorderrad aus und setzt noch einmal alles dran, den Schlauchkiller zu finden, den ich mir gestern abend eingehandelt habe. Die erforderlichen Flickarbeiten führt er in dem Hotelflur durch, warm und sicher vor diesem Wetter. Es waren doch zwei kleine Löcher im Schlauch, die wahrscheinlich ebenfalls durch Schlehendorne verursacht wurden, die sich durch die unplattbare Decke des Reifens gebohrt hatten, aber nicht hängen geblieben waren. Ein Hoch auf Volkers dritten Plattenflick und besten Dank.
Wir holen uns das nötige Anti-Erkältungs-Programm in drei Saunagängen. Inzwischen kommt doch tatsächlich die Sonne heraus, so dass jeder für sich seinen weiteren Nachmittag nach Belieben gestalten kann. Michael, Rita und Klaus sind nach der Wattwanderung noch nach Nordstrand gefahren. Birgit und ich waren ein halbes Stündchen im Vogelbeobachtungsstand; Volker brauchte dringend Auslauf für eine Nordstrand-Umrundung per Rad, und ich gönnte mir noch 12 km strammen Gehens, bis wir uns beim Abendbrot bestens ausgetobt wieder einfanden. Watt für ein Tag !
Mittwoch: Hmmmm, das Frühstücksbuffet in diesem Hotel ist excellent ! Für den heutigen Tag hat Michael eine Radtour über eine Anhöhe in größerem Bogen nach Husum geplant. Wir lassen uns auch ein wenig Zeit mit dem Start, denn: die Sonne scheint heute mal wieder in Strömen. Also in voller Regenmontur mit doppelt übereinander gezogenen Handschuhen machen wir uns auf die Socken zur Konzentrationslager-Gedenkstätte Husum-Schwesing. Auf mehreren stählernen Anzeigetafeln sind mindestens 300 Opfer der Nazizeit eingraviert, sogar überwiegend Holländer. Diese Gedenkstätte wurde 1987 eingeweiht, die Gedenktafeln scheinen erst in den letzten zwei Jahren aufgestellt worden sein.
Nach zwei Stunden Dauerregen treffen wir in Husum ein, triefend nass. In Jacquelin’s Café lassen wir uns eine heiße Schokolade servieren, in der Hoffnung, wenigstens einen Teil der Kleidung trocknen zu können. Auf weitere Exkursionen im Regen hat eigentlich niemand mehr so richtig Lust, so dass wir in verschiedenen Gruppen mehr oder weniger direkt zum Hotel zurückfahren. Ich selbst möchte noch ein wenig in Husum herumbummeln, Eis essen, neue trockene Handschuhe besorgen, und komme eine Stunde später an der Arlau-Schleuse an, wobei mir unterwegs noch zwei Hagelschauer entgegen brausten. Unterwegs am Dockkoog sah ich eine ziemlich große Reihe Nonnengänse auf den Feldern. Für den restlichen Tag genossen wir Mittagsschlaf und Anti-Erkältungs-Programm in der Sauna, und vor allem meinen Rubiks Cube 5×5, bis wir uns zum Abendessen im benachbarten Restaurant wieder treffen. Der Kontrast zwischen eiskalt draußen und heiß in der Sauna wird uns für den Rest des Jahres vor Infektionen schützen.
Donnerstag: Unser letzter vollständiger Erfahrungstag im Naturpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist der sonnigste und schönste Tag dieser Woche. Wir fahren wieder in zwei unterschiedlichen Gruppen, weil Michael eine Führung in den südlicheren Teil von Husum, nach Schwabstedt an die Treene plant. Rita und Klaus schließen sich Michael an, und ich schließe mich Birgit und Volker an, die gerne noch einmal die Halbinsel Nordstrand umrunden möchten. Nordstrand kannte ich auch von zwei anderen Urlaubstouren in früheren Zeiten. Die Seenähe reizte mich heute wegen der viel angenehmeren Sicht auf Wasser und Halligen in der Hoffnung auf ein paar bessere Fotos. Im Norderhafen genießen wir die wärmende Vormittagssonne und fahren gemütlich zur Anlagestelle der Pellworm-Fähre. Jenseits der Anlegestelle lag immer noch die tote angeschwemmte Robbe auf den Ufersteinen und verbreitete ihren inzwischen recht unangenehmen Verwesungsduft. Wir halten hier und dort mal an, um die benachbarten Halligen zu orten, die teilweise über das Watt von Fuhrwerken angesteuert werden.
Kilometerweit erstreckt sich der Radweg rund um Nordstrand, immer wieder durch Abgrenzungszäune unterbrochen. Wir genießen einfach mal nur die gute Luft, den Schimmer der Sonne auf dem Wattenmeer, die vielen Gänse, Rotschenkel, Möwen. In der Mittagszeit erreichen wir den Süderhafen. Bevor wir den Deich-Radweg verlassen, schlägt Birgit vor, mittels der Wasserschläuche, die überall am Deich zu finden sind, die Räder vom Schafsschiss zu befreien. Hier steht immer noch die Windmühle, die ich im Jahr 2007 bereits entdeckte. Eine dicke Tüte Pommes draußen in der Sonne: ein Kaffee, und weiter geht es im großen Bogen auf Husum zu. Wir finden das Restaurant Drageths Gasthof, in dem wir uns gegen Abend treffen wollen und reservieren einen Tisch. Da ich selbst Husum nur selten bei Sonnenschein erlebt habe, gönne ich mir für zwei Stunden Rast vom Fahrradsattel, um das Schloß zufuß zu besuchen, und um den Hafen und den Marktplatz zu genießen.
Pünktlich treffen alle am ausgemachten Treffpunkt ein, so dass wir unser Abschiedsmahl einnehmen können. Birgit und Volker haben zwischenzeitlich ein Present für Michael besorgt und überreichen ihm dieses am Tisch. Hoffentlich zieht Michael dieses schöne blaue Sweatshirt auch oft an. Scheinbar ist Volker auch noch ein kurzes Bad außerhalb des Hafens gelungen. Bei prächtiger Abendsonne kehren wir zum Hotel zurück. Es war ein prächtiger Tag, der uns sehr gut getan hat.
Freitag: Heute ist Abreisetag: ein letztes Frühstück, Taschen packen, und dann heißt es: Abschied nehmen: von Rita und Klaus, von der Nordseeküste und von den Gänsen. Am frühen Morgen sehe ich aus meinem Fenster noch im Morgendunst einen großen Schwarm Gänse, der sich auf einer benachbarten Weidefläche sammelt: wenn das nicht mal unsere vermissten Ringelgänse sind? Rita und Klaus begleiten uns noch zum Husumer Bahnhof, falls mal einer von uns einen Platten erleiden sollte, um dann schnell an Ort und Stelle zu sein. Danke Euch – es war wieder eine prima Zeit mit Euch. Danke vor allem an Michael, der die Leitung der Naturfreunde-Radwoche, hatte. Kommt gut nach Hause. Bis demnächst !